Kursziele und Kursinhalte      
 
 
 

Im Rahmen des Kurses Biochemie I und im Mikrobiologiekurs "Vielfalt der Mikroorganismen" (3. Semester) haben Sie bereits einige Grundstoffwechselwege und bioenergetische Prinzipien kennen gelernt. In diesem Kurs möchten wir Sie mit der enormen Stoffwechsel-Diversität bei den Prokaryoten vertraut machen. Sie sollen nicht überwältigt sein von der Vielfalt, sondern daraus grundlegende Prinzipen herausfinden, die die vielen Stoffwechselwege und die paar Energieumwandlungsmechanismen auszeichnen.

Mikroorganismen sind die Bewahrer des grössten Teils der genetischen Variabilität, die sich im Verlaufe der Evolution gebildet hat. Die Vielfalt drückt sich im mikrobiellen Stoffwechselrepertoir aus, welches den Prokaryoten erlaubt hat, die extremsten Habitate zu besiedeln, eine grosse Zahl möglicher Energiequellen zu nutzen und schwierigste chemische Reaktionen mit höchster Spezifität auszuführen.

Zahlreiche mikrobielle Stoffwechselfähigkeiten hat sich der Mensch seit langem zunutze gemacht, in der Landwirtschaft, der Lebensmittelkonservierung, der Medizin und zum Studium der ökologischen Prozesse in den geochemischen Stoffzyklen, um nur einige Beispiele zu nennen.

Im Kurs "BIOCHEMIE UND PHYSIOLOGIE DER PROKARYOTEN" wollen wir jene Stoffwechselgrundlagen erarbeiten, die es uns ermöglichen sollen, die wachsende Fülle an Genominformationen zu verstehen. Die Kursinhalte bilden die Grundlage für die funktionelle Genomik, die Proteomik und die Metabolomik, die sich alle am erfolgreichsten mit Prokaryoten betreiben lassen. Aus der heute zugänglichen Fülle an Stoffwechselinformationen versucht man in der System-Mikrobiologie, Einblicke in komplex zusammenhängende Prozesses zu gewinnen. Auch dazu wollen wir einige Modellvorstellungen aus dem mkrobiellen Stoffwechsel kennen lernen.

Die Kursinhalte lassen sich in 6 Schwerpunkte zusammenfassen:

 
 
 
  1. Prinzipien der Stoffwechselvielfalt      
 

Stoffwechselprozesse erlauben Organismen, die für die Bildung neuer Zellen nötigen Stoffe aus der Umwelt aufzunehmen und sie in jene biologischen Moleküle umzuwandeln, welche Bestandteile von Zellstrukturen sind. Thermodynamisch sind dies meist endergone Prozesse, die nur dann geschehen können, wenn die Organismen gleichzeitig Energie aus exergonen Dissimilationsvorgängen freisetzen und in biochemisch nutzbare Energieformen umwandeln können. Organismen nutzen die bei Oxidationsreaktionen freiwerdende Energie, wobei die Energiequellen reduzierte chemische Verbindungen sind.

Diese können durch redoxchemische oder photoredoxchemische Reaktionen entstehen. Gewisse Spezialisten unter den Prokaryoten können mit Hilfe des Sonnenlichts direkt chemiosmotische Potenziale aufbauen.
Die prokaryotische Stoffwechseldiversität gründet in der Vielfalt der möglichen Energie- und Elektronenquellen sowie der verwendeten Oxidationsmittel und in der Variabilität von anabolischen und katabolischen Wegen mit den sie katalysierenden spezifischen Enzymen, Coenzymen, Pigmenten, etc.

 
 
 
  2. Abwandlungen der Stoffwechselprinzipien      
 

Aufbauend auf den biochemischen Prozessen in Chloroplasten, in Mitochondrien und im Cytoplasma von eukaryotischen Zellen, die aus anderen Kursen bekannt sind, möchten wir in diesem Mikrobiologiekurs die vielfältigen Abwandlungen von Photosynthese, Atmung und Grundstoffwechsel bei anaeroben und aeroben Prokaryoten kennen lernen. Mit der phototrophen vergleichen wir die chemotrophe Fixierung von Kohlendioxid; der Atmung mit Sauerstoff stellen wir diejenige

mit Sulfat, Nitrat, Ferri-Eisen, Fumarat und anderen Elektronenakzeptoren gegenüber,und mit der primär durch chemiosmotische Energie angetriebenen ATP-Synthese in atmenden Zellen vergleichen wir die ATP-Bildung aus energiereichen chemischen Bindungen in Stoffwechselzwischenprodukten bei fermentativ lebenden Mikroorganismen.

 
 
 
3. Genomik der Stoffwechseldiversität      
 

Der Kurs ist biochemisch-physiologisch ausgerichtet, und er integriert, so weit dies heute bereits möglich ist, funktionelle Proteomik und Prokaryoten-Genomik. Dadurch, dass schon eine ganze Reihe prokaryotischer Genome vollständig sequenziert worden sind, ist es in der Mikrobiologie möglich geworden, die "genetische Architektur" von Stoffwechselwegen zu erforschen und durch Analyse von

Bakteriengenomen bisher unbekannte Enzyme zu entdecken. Die zu erwartenden Forschungsergebnisse aus der mikrobiellen Genomik werden unsere Kenntnisse über das komplexe Zusammenspiel von Enzymen im Stoffwechsel revolutionieren. Zur Handhabung der komplexen Stoffwechselvielfalt dienen mathematische Modelle, die heute vor allem im Forschunsgebiet der Metabolomik eingesetzt werden.

 
 
 
4. Genomische Grundlagen der Evolutionsökologie      
 

Durch die Entwicklung von molekularbiologischen Technologien zur Sequenzierung von DNA und RNA ist es möglich geworden, die "genotypische Ausstattung" ganzer Mikrobengenome vergleichend zu studieren und Auskünfte über Veränderungen in den Stoffwechelaktivitäten zu gewinnen.
Dadurch eröffnen sich uns auch faszinierende Möglichkeiten zum Studium der Evolution und zum Ursprung des Lebens, die bis anhin nicht möglich waren.
Aus evolutionsbiologischer Sicht, braucht es neben den Kenntnissen aus der funktionellen Genomik, der Proteomik und der Stoffwechselkapazitäten von Organismen auch solche über das ökologische Verhalten, welches Hinweise darauf gibt, wie Stoffwechselfähigkeiten durch Umweltdeterminanten selektioniert und reguliert werden.

Wir werden uns fragen, wie es möglich war, dass komplexe Reaktionsketten, die viele spezifische Enzyme und präzise Zellarchitekturen benötigen, oft in taxonomisch verschiedenste Organismen verbreitet werden konnten. Und um die neuen Erkennnisse eines Tages auch gefahrlos nutzbringend anwenden zu können, wollen wir nach jenen natürlichen Selektionsmechanismen forschen, die zur genotypischen Stoffwechselvielfalt bei den Prokaryoten geführt haben.

 
 
 
  5. Modellierung komplexer biologischer Prozesse      
 

Es ist heute möglich, ein einfaches Bakteriengenom in wenigen Arbeitstagen vollständig zu sequenzieren. Die Verarbeitung der riesigen Datenmengen und die vergleichende Analyse und Interpretation der Sequenzdaten verlangt biochemische, enzymatische, taxonomische, ökologische und molekularbiologische Kenntnisse, die alle in computergestützte Analyseprogramme einfliessen müssen.

Da die Ergebnisse solcher Analysen vorab Hypothesen liefern, werden zukünftige MikrobiologInnen die beweisenden Experimente ausführen können müssen. Dazu sollten sie in der Lagen sein, Mikroorganismen nicht nur richtig und sicher zu handhaben, sondern anhand von Modellerkenntnissen auch geeignete Experimente vorzuschlagen.

 
 
 
  6. Vom Stoffwechsel der Prokaryoten zur Physiologie der Erde      
 

Die grossartigsten und vielfältigsten biologischen Leistungen auf Erden werden von den Mikroorganismen, vorallem von den prokaryotischen Bakterien und Archäen sowie deren Phagen, vollbracht. Die physiologische Vielfalt ist das Spiegelbild von Stoffwechselentwicklungen,

die die biologische Evolution im Verlaufe von fast 4 Milliarden Jahren hervorgebracht hat. Die Erkenntnisse aus dem Kurs werden dazu beitragen, die Selektion dessen, was geworden und geblieben ist, besser nachvollziehen zu können.

 
 
 
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